Überfischung: Wildfisch als Fischfutter in Aquakulturen – Schweizer Detailhändler im Vergleich
Zusammenfassung
Nachhaltigkeit beim Fischkauf ist für viele Menschen ein wichtiges Thema. Denn trotz der fehlenden Meeresküste gehört Fisch auch hierzulande auf den typischen Speiseplan. Der grösste Teil der Fischverkäufe geht über die Ladentheke. Detailhändler, stehen deshalb besonders in der Verantwortung, beim Einsatz für gesunde Meere eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Changing Markets Foundation untersucht im vorliegenden Bericht, inwieweit die grössten Schweizer Detailhändler ihrer Verantwortung bei Produkten aus der Aquakultur nachkommen.
Unsere Ozeane sind für das Überleben der Menschheit unverzichtbar. Sie erzeugen den Sauerstoff für jeden zweiten Atemzug, binden klimaschädliches Kohlenstoffdioxid und sind wichtiger Nahrungslieferant für über drei Milliarden Menschen. Um diese Funktionen aufrecht zu halten, müssen die Meere im Gleichgewicht sein. Hierzu gehören stabile und ausreichend grosse Fischbestände. Doch die Meere leiden zunehmend an der anhaltenden Übernutzung durch uns Menschen. Im Jahr 2017 standen 93,8 Prozent der globalen Fischbestände an ihrer Belastungsgrenze oder waren überfischt, während es 1974 60 Prozent waren. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Speisefisch beständig.
Im Schnitt verzehren die Schweizer*innen über neun Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte pro Kopf und Jahr. Im Vergleich: in der EU liegt der Durchschnitt bei 24.36kg pro Kopf und Jahr. Obwohl die Regionalität von Lebensmitteln in der Schweiz Priorität hat, stammen 94 Prozent des in der Schweiz konsumierten Fisches aus dem Ausland. Die Fischereierträge aus den Weltmeeren reichen nicht mehr aus, um diesen Bedarf zu decken. Fischzucht, oder Aquakultur, scheint hier eine nachhaltige Lösung zu sein, die das Potenzial hat, unseren Hunger nach Fisch zu stillen, ohne die Meere weiter zu überlasten. Doch leider trügt dieser Schein. Die Aquakultur stellt – zumindest heute noch – einen Teil des Problems dar.
Aquakultur kann äusserst problematisch für das Wohlergehen der Fische sein, denn im Vergleich zu anderen Nutztieren haben Fische die schwächsten Tierschutzbestimmungen. Laut einer neuen Untersuchung ist die Sterblichkeitsrate bei Lachsfarmen in Schottland drei mal höher als bei Hühnerzuchten. Zudem kommt, dass die globale Aquakulturindustrie von grossen Mengen Fischmehl und -öl (meist aus Wildfisch) abhängig ist, die – als Teil des Fischfutters – die industrielle Fischproduktion aufrechterhalten. Diese Abhängigkeit hat enorme Auswirkungen auf das Tierwohl in der Fischzucht, die Nachhaltigkeit der gesamten Branche7,8 und verursacht ausserdem eine erschreckend hohe Dunkelziffer von Sterberaten.
Jedes Jahr werden ca. 15 Millionen Tonnen Wildfisch zu Fischmehl und -öl verarbeitet – das sind fast 20 Prozent des weltweiten Fangs, wobei es 2018 sogar ca. 18 Millionen Tonnen waren.9 Das heisst, jeder fünfte gefangene Fisch wird zu Fischmehl und -öl verarbeitet, wovon wiederum der Grossteil, knapp 80 Prozent, an Zuchtfische verfüttert wird. Diese Verwendung von Wildfisch als Aquakulturfuttermittel übt daher erheblichen Druck auf Wildfischbestände aus, anstatt sie zu entlasten (siehe Kapitel 2). In einem kürzlich veröffentlichten Bericht wurde festgestellt, dass beispielsweise allein die schottische Lachsindustrie ungefähr die gleiche Menge an wild gefangenem Fisch verwendet, um ihren Lachs zu füttern, wie die gesamte Bevölkerung des Vereinigten Königreichs in einem Jahr einkauft.
Doch dies muss nicht sein: Bereits heute können wir auf nachhaltige Alternativen zurückgreifen, die die Meere nicht zusätzlich belasten. Hierzu gehören zum einen alternative Futtermittel, die Algenöl, pflanzliche Substitute (z.B.Raps, Mais, Weizen) statt Fischmehl und -öl enthalten. Zum anderen gehört hierzu die Zucht anderer Arten, die mit sehr wenig oder gar ohne Fischmehl- und -öl-Zusatz im Futter auskommen, beispielsweise Karpfen, Wels, Muscheln und Tilapia.
Problematisch ist die Intransparenz der Lieferketten, die es den Futtermittelerzeugern ermöglicht, die Herkunft und Arten der Wildfische im Aquakulturfutter unter dem Vorwand der Wettbewerbsfähigkeit geheim zu halten. Auch die renommierten und oft von NGOs unterstützten Siegel – wie das Aquaculture Stewardship Council (ASC) Siegel – sehen über die oft dubiose Herkunft von Fischmehl und –öl als Aquakulturfuttermittel hinweg. Darüber hinaus ignorieren die meisten dieser Zertifizierungssysteme das Wohlergehen der Fische völlig, obwohl die Unterstützung der Bevölkerung für die Einführung von Fischschutznormen für Zucht- und Wildfangfische zunimmt.
In der Schweiz wird ein Grossteil der Fische und Meeresfrüchte im Detailhandel verkauft. Die Detailhändler haben damit eine enorme Macht, das Konsumverhalten der Verbraucher*innen zu beeinflussen und müssen dafür sorgen, dass hohe Nachhaltigkeitsstandards für die Lebensmittel- und Fischfutterproduktion in ihren Lieferketten eingehalten werden. Der vorliegende Bericht bewertet, inwiefern sieben Schweizer Detailhändler dieser Verantwortung nachkommen und die Nachhaltigkeitsherausforderungen angehen, die sich aus den Lieferketten der von ihnen verkauften Produkte aus Aquakultur ergeben.
Die grössten Schweizer Einzelhändler Migros, Coop, Denner, Aldi, Volg Lidl und Spar wurden anhand von 13 Indikatoren untersucht (siehe Seite 36). Diese 13 Indikatoren repräsentieren eine Reihe von Schritten in den Bereichen „Unternehmenspolitik“, „Lieferketten-Transparenz“ und „Produktvermarktung“, die aus unserer Sicht von Seiten der Unternehmen nötig sind, um sich in Bezug auf ihre Aquakulturprodukte für eine nachhaltige Nutzung und die Gesundheit der Meere einzusetzen. Die Untersuchung stützt sich auf Informationen aus drei Datenquellen: eine umfassende Unternehmensumfrage, eigene Recherchearbeiten und Marktbesuche. Hierauf basierend haben wir eine Rangliste erstellt, die bewertet, wie transparent und nachhaltig die Lieferketten der Einzelhändler im Hinblick auf die Produkte der Aquakulturindustrie und der dort verwendeten Futtermittel tatsächlich sind. Diese Rangliste basiert auf der Prämisse, dass die Verwendung von Wildfisch zur Fütterung von Zuchtfischen eine ineffektive Nutzung verfügbarer Nährstoffe darstellt und damit ein Risiko sowohl für die zukünftige Ernährungssicherheit von uns Menschen als auch für die Gesundheit der Meere ist.
Unsere Bewertung zeigt ein besorgniserregendes Bild: Keines der untersuchten Unternehmen erfüllte auch nur die Hälfte der herangezogenen Indikatoren (siehe Abbildung 1). Zudem hat kein Unternehmen ein klar definiertes Ziel für die Eliminierung von Wildfisch als Futtermittel aus seinen Aquakultur-Lieferketten. Die Ergebnisse zeigen, dass die Problematik von Wildfang als Futterfische für die Aquakultur noch ungenügend addressiert wird.
Aquakultur hat das Potenzial, den Druck auf Wildfischpopulationen zu mindern. Eine Entkopplung der Aquakultur von der Fischerei ist dafür unbedingt erforderlich. Unter den aktuellen Gegebenheiten stellt die Aquakulturindustrie mit ihrer Nutzung von Wildfisch als Futtermittel allerdings eine Gefahr für die langfristige Gesundheit unserer Meere und für unsere eigene Ernährungssicherheit dar.
Mit wachsendem öffentlichen Interesse an nachhaltigen Fischprodukten können es sich Gross- und Detailhändler nicht mehr leisten, vor dieser Problematik die Augen zu schliessen. Sie haben jedoch noch einen langen Weg vor sich, um sicherzustellen, dass ihre Aquakultur-Lieferketten einem nachhaltigen Standard entsprechen um Wildfischpopulationen nicht weiterhin überlasten. Rasches Handeln ist erforderlich, um eine Entkopplung der Aquakulturindustrie von der Fischerei zu ermöglichen. Es ist an der Zeit, dass Schweizer Einzelhändler ihre Vorreiterrolle verantwortungsvoll wahrnehmen. Sie sollten sich zu festgeschriebenen Standards bekennen, ihre Lieferketten vollständig transparent machen und sich dazu verpflichten, die Nutzung von Wildfisch als Futtermittel in der Aquakultur ihrer Zulieferer zu beenden. Angesichts der rasch steigenden Sterblichkeitsraten in Fischfarmen fordert der Bericht auch die Einführung robuster Fischschutzstandards, um sicherzustellen, dass in Schweizerischen Supermärkten verkaufte Fische und die von ihnen gefütterten Wildfische nicht unnötig leiden.
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