Erwischt: Wildfisch als Fischfutter für Aquakulturen!
Zusammenfassung
Obwohl Österreicher/-innen die regionale Herkunft von Lebensmitteln besonders wichtig ist, werden 94 Prozent von den fast 70.000 Tonnen Fisch, die jährlich in Österreich verzehrt werden, aus dem Ausland importiert und zum Großteil in Supermärkten verkauft. Da Fischprodukte aus Aquakulturen global rasant zunehmen, untersuchten die Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Oberösterreich und die Stiftung Changing Markets im vorliegenden Bericht die ökologische Nachhaltigkeit von Zuchtfischprodukten österreichischer Supermärkte.
Mehr als die Hälfte der Fische und Meeresfrüchte, die weltweit konsumiert werden, stammen aus Aquakultur, einer der an den schnellsten wachsenden Wirtschaftszweigen der Nahrungsmittelproduktion weltweit. Im Jahr 2018 wurden so weltweit über 82 Millionen Tonnen Fisch produziert, der Großteil hiervon für den menschlichen Verzehr.
Aquakultur kann äußerst problematisch für das Wohlbefinden der Fische sein, denn im Vergleich zu anderen Nutztieren haben Fische die schwächsten Tierschutzbestimmungen. So belegte eine aktuelle Untersuchung, dass die Sterblichkeitsrate bei Lachszuchten in Schottland mehr als drei Mal höher ist, als bei Hühnerzuchten. Zudem kommt, dass die globale Aquakulturindustrie von großen Mengen Fischmehl und -öl abhängig ist, die – als Teil des Fischfutters – industrielle Fischproduktion aufrechterhalten. Diese Abhängigkeit hat enorme Auswirkungen auf das Tierwohl und die Nachhaltigkeit in der Fischzucht und verursacht außerdem eine erschreckend hohe Dunkelziffer von Sterberaten, die durch das Schlachten von Milliarden wild gefangener Fische pro Jahr zur Fütterung von Zuchtfischen entsteht.
Jedes Jahr werden rund 15 Millionen Tonnen Wildfisch zu Fischmehl und -öl verarbeitet (fast 20 Prozent des weltweiten Meeresfangs), wovon wiederum der Großteil (70 Prozent) an Zuchtfische verfüttert wird. 2018 waren es sogar rund 18 Millionen Tonnen. Aufgrund einer stetig steigenden weltweiten Nachfrage nach Fisch und einem beständigen Wachstum der Aquakulturindustrie ist zu erwarten, dass auch die Menge an Wildfisch, die im Fischfutter enden, wächst (Abbildung 2). In einem erst vor Kurzem veröffentlichten Bericht wurde festgestellt, dass beispielsweise allein die schottische Lachsindustrie ungefähr die gleiche Menge an wild gefangenem Fisch verwendet, um ihren Lachs zu füttern, wie die gesamte Bevölkerung des Vereinigten Königreichs in einem Jahr einkauft.
Hinzu kommt, dass der meiste Fisch, der zu Fischmehl und -öl verarbeitet wird, für den menschlichen Verzehr geeignet wäre und häufig aus Regionen stammt, in denen die lokale Bevölkerung dringend auf Fisch als Proteinquelle angewiesen ist. Diese Entnahme von Wildfischbeständen stellt eine Gefahr für die langfristige Gesundheit unserer Meere und für unsere eigene Ernährungssicherheit dar. Im Jahr 2017 standen 93,8 Prozent der globalen Fischbestände an ihrer Belastungsgrenze oder waren überfischt, während es 1974 60 Prozent waren. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Speisefisch beständig. Für eine nachhaltige Ausgestaltung der Aquakultur ist die Entkopplung von Aquakultur und Fischerei von zentraler Bedeutung. Es gibt bereits heute nachhaltige Alternativen, die ohne Fischmehl und -öl auskommen, die Meere nicht zusätzlich belasten und deshalb auch besser für das Tierwohl von Zuchtfischen insgesamt sind.
Problematisch ist die Intransparenz der Lieferketten, die es den Futtermittelerzeugern ermöglicht, die Herkunft und Arten der Wildfische im Aquakulturfutter unter dem Vorwand der Wettbewerbsfähigkeit im Dunkeln zu halten. Auch die renommierten und oft von NGOs unterstützten Gütesiegel – wie das Aquaculture Stewardship Council (ASC) Siegel – sehen über die oft dubiose Herkunft von Fischmehl und -öl als Aquakulturfuttermittel hinweg. Darüber hinaus ignorieren die meisten dieser Zertifizierungssysteme das Wohlergehen der Fische völlig, obwohl die Unterstützung der Bevölkerung für die Einführung von Fischschutznormen für Zucht- und Wildfangfische zunimmt.
Supermärkte haben eine enorme Macht, die Kaufentscheidungen von Konsumenten/-innen durch Produktvermarktung und -kennzeichnung sowie Auswahlmöglichkeiten beim Einkauf zu beeinflussen. Vielen Konsumenten/-innen ist Meeresschutz beim Fischkonsum wichtig und sie möchten sich darauf verlassen können, dass der Handel nachhaltige Fischprodukte anbietet. Durch mangelnde Transparenz und unzureichende Produktkennzeichnungen, wird ihnen eine informierte und nachhaltige Entscheidung aber schwergemacht. Supermärkte sind damit wichtige Akteure die dafür sorgen können, dass nachhaltige Standards für die Lebensmittel- und Fischfutterproduktion in ihren Lieferketten geschaffen werden.
Der vorliegende Bericht bewertet, inwiefern acht österreichische Supermarktketten dieser Verantwortung nachkommen. Die sechs Einzelhändler Merkur/Billa plus, Billa, Hofer, Lidl, Spar und Unimarkt und die zwei Großhandelskonzerne ADEG Großmarkt – AGM und METRO Cash & Carry wurden anhand von 13 Indikatoren untersucht, die notwendig sind, um sich bei ihren Aquakulturprodukten für eine nachhaltige Nutzung und die Gesundheit der Meere einzusetzen.
Angesichts der rasch steigenden Sterblichkeitsraten in Fischfarmen fordern die AK und Changing Markets die Einführung stärkerer Fischschutzstandards in Österreich bzw. europäischen Ebene.
Die Analyse der Einkaufspolitik und der Nachhaltigkeitsstrategie österreichischer Supermärkte zeigt ein erschreckendes Bild: Keiner der evaluierten Supermärkte erfüllte auch nur die Hälfte der untersuchten Bedingungen für eine nachhaltige Lieferkette bei den Produkten aus Aquakulturen.
Die Ergebnisse zeigen klar, dass es im österreichischen Einzelhandel noch kein Bewusstsein für die Problematik gibt, dass Wildfang als Futterfisch verwendet wird und deren Aquakultur-Lieferketten keine oder nur geringe Fischschutzstandards aufweisen. In der Bewertung schnitt die Supermarktkette Lidl Österreich am besten ab, allerdings mit nur 8 Punkten von 24 möglichen Punkten (33 Prozent). Das schlechteste Ergebnis zeigte sich bei den Einkaufsstandards bzw. -politik des Großhändlers METRO, der gerade mal zwei Punkte erreichte (8 Prozent).
Keine der untersuchten Supermarktketten hat klar definierte Nachhaltigkeitsziele, die zumindest mittelfristig darauf abzielen, Wildfisch aus seinen Aquakultur-Lieferketten auszuschließen. Lidl und die Rewe Group geben lediglich an, sich um eine Minimierung des Fischmehl- und -öl-Anteils in Futtermitteln zu bemühen, der aus gezielter Fischerei stammt – also aus Fischerei, die Wildfische gezielt für die Verarbeitung zu Fischmehl und -öl fängt. Metro, Spar und Unimarkt erwähnen Futtermittel von Aquakulturprodukten nicht einmal in ihrer Einkaufspolitik. Die Sterblichkeitsraten von Zuchtfischen – die ein wichtiges Indiz für Tierwohl und Effizienz von Futtermitteln sein können – werden von keinem der Unternehmen dokumentiert oder von Zulieferern verlangt. Auch Angaben auf der Verpackung sind unzureichend – kein Supermarkt macht Angaben zum verwendeten Fischfutter. Lediglich das Herkunftsland des Zuchtfisches war für Konsumenten/-innen auf Verpackungen ersichtlich. Oft wird auf Tracking Codes verwiesen, auf denen Konsumenten/-innen selbst zusätzliche Details zur Lieferkette recherchieren können. Aber selbst wenn kritische Konsumenten/innen diesen erheblichen Zusatzaufwand betreiben, finden sie auf den jeweiligen Informationsseiten keine Informationen über das Futter des jeweiligen Zuchtfisches. Womit diese gefüttert werden bleibt also auch so im Dunkeln.
Es braucht erhebliche Verbesserungen bei der Transparenz von Aquakulturfuttermitteln sowie klare und verbindliche Kennzeichnungspflichten für den Einzelhandel: Keine einzige Supermarktkette in Österreich zeigte sich bereit oder in der Lage, Informationen über die Futtermittel-Lieferanten zu teilen. Lediglich Unimarkt und Lidl legten Informationen zu den Lieferketten, insbesondere zu Lieferanten von Zuchtfischen, vor.
Tatsächlich verlassen sich die Einkäufer/-innen österreichischer Supermärkte auf Siegel als Beleg für nachhaltige Fischerei und Aquakultur und kommunizieren dies so auch an Konsumenten/-innen weiter. Ein näherer Blick auf die Standards zeigt aber, dass diese die Verwendung von Wildfang als Zuchtfischfutter dulden und auch durch kein einziges Kriterium das Fischwohl bewerten. Dabei wäre es im Sinne einer tatsächlichen Nachhaltigkeit besonders wichtig, dass das Engagement von Supermarktketten hier nicht endet, die mit ihrer Kaufkraft das Potential hätten, Änderungen in der Lieferkette herbeizuführen. Denn selbst zertifizierte Produkte belasten die Meere, schenken Tierwohl keine Beachtung oder bemühen sich um die Einhaltung von ethischen Standards.
METRO zeigt die meisten Defizite beim Engagement und bei der Transparenz seiner Lieferkette. Doch selbst bei der Supermarktkette Lidl, die als einziges Unternehmen Informationen zur Fischverwertungsrate ihrer Produkte angab, besteht noch viel Verbesserungspotenzial.
Wie sehr es bei der Einkaufspolitik österreichischer Supermärkte im Bereich Aquakulturen mangelt, zeigt sich aber erst im europäischen Vergleich: Britische und deutsche Supermärkte, die auf Basis derselben Methodik bewertet wurden, lieferten deutlich bessere Ergebnisse bei Transparenz und Nachhaltigkeitsstrategien. So erreichten etwa Kaufland, aus dem Nachbarland Deutschland, sowie die britische Kette Marks & Spencer jeweils 44 Prozent im Bewertungssystem. Großbritanniens größter Supermarkt Tesco erreichte sogar 60 Prozent der maximalen Punktezahl.
Die zukünftige Ausrichtung und Entwicklung der Aquakulturindustrie wird langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der Meere und auf unsere globalen Ernährungssysteme haben. Eine Entkopplung der Aquakultur von der Fischerei ist unabdingbar, damit die Aquakultur ihr Nachhaltigkeitsversprechen einlösen und zur Entlastung der Wildfischpopulationen beitragen kann. Das derzeitige Modell der Fischzucht, bei dem Wildfisch als Fischfutter verwendet wird, untergräbt dieses Versprechen bisher. Darüber hinaus trägt es eine Mitschuld daran, dass Millionen Menschen in den Produktionsländern von Fischmehl und -öl keinen ausreichenden Zugang zu wichtigen Nährstoffen haben, da Fische, die für den menschlichen Verzehr geeignet wären, stattdessen für die Herstellung von Fischmehl und -öl verwendet werden.
Mit einem wachsenden öffentlichen Interesse an nachhaltigen Fischprodukten, einschließlich dem Tierwohl von Fischen, können es sich Groß- und Einzelhändler nicht mehr leisten, vor dieser Problematik die Augen zu verschließen. Alle untersuchten Händler haben noch einen langen Weg vor sich, um sicherzustellen, dass ihre Aquakultur-Lieferketten einem nachhaltigen Standard entsprechen und die Wildfischpopulationen nicht weiterhin überlasten. Es ist Zeit, dass Groß- und Einzelhändler ihre Vorreiterrolle verantwortungsvoll wahrnehmen. Sie müssen sich zu hohen Nachhaltigkeitsstandards bekennen, die Sterblichkeitsraten von Aquakultur-Tieren veröffentlichen, Standards für das Wohlbefinden von Fischen entwickeln, ihre Lieferketten vollständig transparent machen und sich dazu verpflichten, die Nutzung von Wildfisch in den Futtermitteln ihrer Aquakultur-Lieferketten zu beenden.
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